Die SPD als Motor gesellschaftlicher Reformen

Bild 056: SPD-Plakat zur Landtagswahl 1970 [Archiv der Sozialen Demokratie]
SPD-Plakat zur Landtagswahl 1970
(Archiv der Sozialen Demokratie)

Die Hoffnung der SPD, nach der Landtagswahl von 1958 die Regierung wieder übernehmen zu können, erfüllte sich nicht. Obwohl die SPD ihren Stimmenanteil auf 30,8 % verbesserte, konnte die CSU ihre Koalition mit FDP und BHE fortführen. Doch auch als Oppositionspartei wirkte die bayerische SPD an grundlegenden gesellschaftlichen Veränderungen mit.

Einsatz für Modernisierung und Meinungsfreiheit

Bild 057: Unterschriftensammlung für die Gemeinschaftsschule [Privat]
Unterschriftensammlung für die Gemeinschaftsschule
(Privat)

Schon bei den Landtagswahlen von 1962 erlangte die SPD in Bayern ihr bis dahin bestes Wahlergebnis. Mit der Wahl Volkmar Gaberts zum Vorsitzenden kam es nun auch in der sozialdemokratischen Landtagsfraktion zum Generationswechsel und zu zahlreichen neuen parlamentarischen Initiativen. Ab Mitte der 60erJahre gelang es der SPD zudem, die gesellschaftliche Modernisierung durch Volksbegehren anzustoßen. So war in Bayern nach wie vor die Konfessionsschule der bestimmende Schultyp und stand einer Modernisierung der Schulorganisation im Wege. Ein großer Teil der Kinder wurde in sogenannten Zwergschulen unterrichtet, in denen ein Volksschullehrer acht Klassen innerhalb eines Raumes unterrichtete. Als 1967 ein Gesetzentwurf der SPD scheiterte, mit dem durch eine Verfassungsänderung die Bekenntnisschule abgeschafft und die christliche Gemeinschaftsschule durchgesetzt werden sollte, initiierte die SPD ein erfolgreiches Volksbegehren. Die CSU lenkte angesichts dieses Erfolges der SPD ein.

Bild 059: Logo des Volksbegehrens für Rundfunkfreiheit
Logo des Volksbegehrens für Rundfunkfreiheit

Ein weiterer Erfolg gelang, als die CSU Ende der 60er Jahre ihren Einfluss auf den Bayerischen Rundfunk stärken und politisch willfährige private Rundfunkanstalten zulassen wollte. Im Rahmen des „Bürgerkomitee Rundfunkfreiheit“, dem Kirchen ebenso wie Gewerkschaften angehörten, konnte die SPD 1972 erneut ein erfolgreiches Volksbegehren durchführen und die CSU zum Kompromiss zwingen. Den bereits 1968 unternommenen Versuch der CSU, Volksentscheide und Volksbegehren durch eine Verfassungsänderung abzuschaffen, konnte die SPD hingegen vereiteln.

Erneuerung von SPD und Gesellschaft

Bild 058: SPD-Parteivorsitzender Erich Ollenhauer spricht auf dem Godesberger Parteitag [Archiv der Sozialen Demokratie]
SPD-Parteivorsitzender Erich Ollenhauer spricht auf dem Godesberger Parteitag
(Archiv der Sozialen Demokratie)

Der Einfluss bayerischer Sozialdemokraten reichte weit über das eigene Bundesland hinaus. Mit Waldemar von Knoeringen war ein bayerischer Sozialdemokrat wesentlich an der Ausarbeitung des Godesberger Programms von 1959 beteiligt. Mit dem kontrovers diskutierten Programmtext wollte sich die SPD als linke Volkspartei neuen Wählerschichten öffnen: Sie verzichtete auf marxistische Gesellschaftskritik, bekannte sich zu einer regulierten sozialen Marktwirtschaft und zur Westorientierung der Bundesrepublik Deutschland.

Aus der bayerischen SPD stammten zudem wichtige BundesministerInnen: Bereits in der Großen Koalition unter CDU-Kanzler Kiesinger konnte sich die Nürnberger Sozialdemokratin Käte Strobel als Bundesgesundheitsministerin profilieren. Indem sie sich für ein neues Frauenbild, die verstärkte Aufklärung über Familienplanung und den erleichterten Zugang für junge Frauen zu Verhütungsmitteln engagierte, stärkte sie Freiheits- und Selbstbestimmungsrechte. Weitere einflussreiche Mitglieder der Regierungen Brandt und Schmidt stammten aus Bayern: Hans-Jochen Vogel übernahm 1972–1974 das Ministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, von 1974–1981 war er Justizminister. Dieter Haack war von 1978 bis 1982 Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau.

Grundlegende Veränderung und personelle Erneuerung brachte die Studentenbewegung mit sich. Als die junge Generation mit den vorherrschenden Gesellschaftsstrukturen in Konflikt geriet und ihren Einfluss auf gesellschaftliche Reformen geltend machte, wuchs insbesondere in den Universitätsstädten die Mitgliederzahl der SPD an. Nicht zuletzt durch die Reformpolitik der von Willy Brandt geleiteten sozialliberalen Koalition verkörperte die SPD für viele junge Menschen die politische Kraft, die Tagespolitik mit Zukunftsvisionen verband und zahlreiche Einflussmöglichkeiten für politische Veränderung bot. Der teils überaus rasche innerparteiliche Umbruchprozess lief keineswegs konfliktfrei ab, förderte vielerorts aber eine intensive inhaltliche Arbeit und öffnete die SPD weiter.

  • 1959

    Verabschiedung des Godesberger Programms

  • 1966-1969

    Große Koalition im Bund von CDU/CSU und SPD

  • 1966

    Käte Strobel wird erste sozialdemokratische Ministerin einer Bundesregierung

  • 1968

    Das Volksbegehren Gemeinschaftsschule schafft die Konfessionsschulen in Bayern ab

  • 1969

    Gustav Heinemann wird als erster Sozialdemokrat zum deutschen Bundespräsidenten gewählt

  • 1969

    Willy Brandt wird Bundeskanzler einer Koalition von SPD und FDP

    Bild 060: Willy Brandt am Wahlabend 1969 [Bundesarchiv]
    Willy Brandt am Wahlabend 1969
    (Bundesarchiv)

  • 1972

    Das Volksbegehren Rundfunkfreiheit sichert die Unabhängigkeit des Rundfunks

  • 1974

    Helmut Schmidt wird nach dem Rücktritt Brandts Bundeskanzler